Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten

Die Deutschrockband Frei.Wild

Frei.Wild sind eine Rockband, die sich im Jahr 2001 gegründet hat. Das Quartett um Sänger Philipp Burger kommt aus der Region Südtirol im Norden Italiens und gehört dort der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe an. Frei.Wild sind gemessen an den Verkaufszahlen ihrer Alben und den Besuchszahlen bei den Konzerten mittlerweile eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Bands. Das Album »Feinde deiner Feinde« (2012) schaffte es auf Platz 1 der Charts in Deutschland. Auf der Fanmeile zur Fußball-Weltmeisterschaft 2010 hatte die Gruppe in Berlin einen Auftritt vor mehreren hunderttausend Gästen. Frei.Wild sind typische Vertreter der neueren »Deutschrock«-Szene. Stilistisch stehen sie in der Tradition der Rockband Böhse Onkelz aus Frankfurt am Main. Die Band entstammt jener Deutschrockszenerie, die sich nach der Auflösung der Böhsen Onkelz 2005 um Events wie die »Größte Onkelz Nacht Deutschlands« (GOND) bildete. Der Gestus ist der einer bodenständigen, authentischen Band, die für ein ebensolches Publikum die passende Musik macht und »auf ehrliche Art« Alltagsprobleme besingt. Neben dem Rocker-Chic bedient die Band auch eine Bergwelt-Romantik und sucht zuweilen die Nähe zur volkstümlichen Musik. Daneben tauchen in den Texten und Statements auch nationalistische und völkische Elemente auf, weswegen die Band von vielen Seiten kritisiert wird. Sänger Philipp Burger hat eine Vergangenheit als Nazi-Skinhead und engagierte sich zeitweise in einer rechtspopulistischen Partei in Südtirol. Frei.Wild-Fans schließen sich teilweise im FWSC (Frei.Wild Supporter Club) zusammen.

 

Politikferne und Anti-Extremismus

Frei.Wild thematisieren in ihren Songs Themen wie Freundschaft, Geld, Alkohol, Führerscheinentzug, Freiheit, den Umgang mit Rückschlägen und Niederlagen. Daneben gibt es in den Texten und Äußerungen einen starken, immer wiederkehrenden Bezug zur Südtiroler Heimat.

Die Band betont, »unpolitisch« zu sein. Auf der MySpace-Seite verkündeten Frei.Wild, sie hätten eine »Sprache, die lebt und viel zu tiefgründig und nah aus dem Leben ist, als dass sie jemals politisch sein könnte«. Andererseits wird festgehalten, dass die Gruppe allenfalls »sozialkritisch« und »sozial engagiert« sei, aber eben keine »politische Band im Sinne einer Festlegung auf parteipolitische Inhalte« wäre. Sie bekennt sich auf ihrer eigenen Website jedoch zum Konservatismus:

»Die Band ist überzeugt von bestimmten konservativen Werten und findet
auch wahrlich nichts Verwerfliches daran. Hierzu zählen Werte wie Freundschaft, Familie, Loyalität, Gerechtigkeit, Tradition und Kultur.« 1

Die Band grenzt sich überdies häufig verbal »gegen jede Form von Extremismus« ab:

»Weil die Band der Auffassung ist, dass extremistisches Gedankengut und Handeln, Ideologie-unabhängig ist. Ob ganz links oder ganz rechts bedeutet für die Band
keinen Unterschied, die Geschichte und auch jüngste Ereignisse zeigen immer wieder, dass sowohl Faschismus, Kommunismus, Anarchismus als auch Nationalismus
jeweils Menschenverachtung und Unheil bedeuten. Die Band lässt sich nicht instrumentalisieren und misst nicht mit zweierlei Maß.« 2

 

Bei Konzerten der Band werden hin und wieder zwischen den Liedern aus dem Publikum Sprechchöre mit der Parole »Nazis raus« angestimmt.

 

Nationalistische Inhalte

Neben solchen Bekenntnissen stehen allerdings vielfältige Songs der Band, die zeigen, dass sie politische und auch nationalistische Positionen vertritt.

 

Songtext »Land der Vollidioten« (Album »Hart am Wind«, 2009)

»Das ist das Land der Vollidioten, die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat. Wir sind keine Neonazis und keine Anarchisten, wir sind einfach gleich wie ihr, von hier. Sind wir doch mal ehrlich: der Rest in Italien schämt sich nicht zu sagen, woher er kommt. Wir sind Opfer einer Resozialierungspolitik, und wie viele Leute bei uns bemerken das nicht. Die höchsten Leute im Staat beleidigen Völker ganzer Nationen, und ihr Trottel wählt Sie wieder. Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt vor den andersgläubigen Kindern. Das ist das Land der Vollidioten, die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat.«

 

Der Text zum Song »Land der Vollidioten« spricht aus der Perspektive der deutschsprachigen Minderheit in Italien und betont die »Heimatliebe« der Band. Es sei verfehlt, diese als »Staatsverrat« misszuverstehen. Es erfolgt eine Abgrenzung gegen »Neonazis« und »Anarchisten«. Die Band selbst sei nicht politisch gebunden, sondern die eigenen Positionen würden sich quasi-natürlich daraus ergeben, dass man »von hier« sei. Ein eigener Status als »Opfer« wird behauptet, die italienische Bevölkerung als »Trottel« beleidigt und beklagt, dass Kreuze aus Schulen entfernt würden.

 

Songtext »Südtirol« (Album »Hart am Wind«, 2009)

»Südtirol, wir tragen deine Fahne, denn du bist das schönste Land der Welt, Südtirol, wir sind stolze Söhne von dir, unser Heimatland, wir geben dich niemals her. Südtirol, deinen Brüdern entrissen, schreit es hinaus, dass es alle wissen, Südtirol, du bist noch nicht verlor’n, in der Hölle sollen deine Feinde schmor’n.
Heiß umkämpft war dieses Land ja immer schon, und ich sag mit Freude, ich bin dein Sohn. Edle Schlösser, stolze Burgen und die urigen Städte wurden durch die knochenharte Arbeit unsrer Väter erbaut. Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik an diesem heiligen Land, das uns’re Heimat ist, d’rum holt tief Luft und schreit
es hinaus, Heimatland, wir geben dich niemals auf.«

 

Der pathetische vorgetragene Stolz auf die Heimatregion im Song »Südtirol« soll patriotische »Heimatliebe« illustrieren. Der Stolz auf die Heimat wird damit begründet, dass es viele »edle Schlösser« und andere Sehenswürdigkeiten gebe, die durch die Arbeit der »Väter« entstanden seien. Beschworen wird ein einfaches Leben jenseits den Wirrnissen der Moderne. Der Song beschränkt sich allerdings nicht nur auf eine Lobeshymne für die Landschaft, sondern kulminiert in einer nationalistischen Parole: Es dürfe »keine Kritik« geduldet werden, wenn es um die eigene Region gehe. Das »Land« wird mit dem Attribut »heilig« herausgehoben – ihm wird eine übernatürliche, der Rationalität entzogene, transzendente Qualität zugeschrieben. Nur weil das Land »heilig« sei, kann eine kategorische Kritikabwehr begründet werden. Damit kann nur Kritik am Nationalismus innerhalb der deutschsprachigen Bevölkerung in Südtirol gemeint sein, sonst würde der Text keinen Sinn ergeben – eine »Kritik« gibt es nur an diesem Nationalismus; ob die Südtiroler Bergwelt wirklich schön ist, ist kein Gegenstand von Debatten, auf die die Band anspielen könnte. Vordemokratische Verhältnisse werden in dem Lied unkritisch besungen und romantisiert. Die Fragen, ob die »Väter« freiwillig und ohne Ausbeutung die Schlösser gebaut haben und für wen sie dies taten, kommt im Lied nicht vor.

 

Songtext »Wahre Werte« (Album »Gegengift«, 2010)

»Lichter und Schatten, undefinierbar, woher sie kommen, Formen und Spalten, die dein Ich-Gefühl zurückerstatten, Geräusche und Winde, die dich umgeben und
unheimlich wirken, Höhen und Tiefen, laden ein zum Genießen / Da, wo wir leben, da wo wir stehen, ist unser Erbe, liegt unser Segen, Heimat heißt Volk, Tradidion und Sprache, für uns Minderheiten eine Herzenssache, das, was ich meine, und jetzt werft ruhig Steine, wir sind von keinem Menschen die Feinde, wir sind verpflichtet, dies zu bewahren, unser Tirol gibt’s seit 1200 Jahren / Wo soll das hinführen, wie weit mit uns gehen, selbst ein Baum, ohne Wurzeln kann nicht bestehen, wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen, wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen, du kannst dich nicht drücken, auf dein Land zu schauen, denn deine Kinder werden später darauf bauen, Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat, ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk / Dialekte und
Umgangssprache, Hielten so lange, so viele Jahre.

Bräuche, Geschichten, Kunst und Sagen, sehe schon die Nachwelt klagen und fragen, warum habt ihr das verkommen lassen, die Wurzeln des Landes, wie kann man die hassen, nur um es manchen recht zu machen, die nur danach trachten, sich selbst zu verachten / Nicht von gestern, Realisten

Wir hassen Faschisten, Nationalsoziallisten, unsere Heimat hat darunter gelitten, unser Land war begehrt, umkämpft und umstritten, Patriotismus heißt Heimatliebe, Respekt vor dem Land und Verachtung der Kriege, Wir stehen hier, mit unseren Namen, wir werden unsere Wurzeln immer bewahren.«

 

In diesen Zeilen steckt alles, was völkischen Nationalismus ausmacht: Die Bezüge auf ein »Erbe«, welches »bewahrt« gehöre und nicht »verkommen« dürfe; mythische Bilder von Licht und Schatten, von denen niemand wisse, »woher sie kommen«, die aber dennoch Identität stiften würden; die Annahmen von Verwurzelung und organischer Zugehörigkeit, kulminierend in der Formel »Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache«. In apokalyptischem Tonfall wird vor dem »Sterben« des »Volkes« gewarnt, falls die Traditionspflege nicht gelingen würde. Die Parole, dass alle, die ihre Heimat nicht genügend lieben würden, dieses verlassen sollten, stammt aus dem Repertoire der extremen Rechten. Die Ansicht, dass der Mensch gefühlige »Heimat« und eine Volkszugehörigkeit brauche und nur finden könne, wenn er »Wurzeln«, »Erbe«, »Tradition« und Sprache mit einer Region teile, basiert auf einem reaktionären Begriff von »Volk«. Es ist nicht nur inkompatibel mit modernen demokratischen Gesellschaften, sondern in der Essenz nichts anderes als Blut-und-Boden-Ideologie. Im dazugehörigen Musikvideo wird in deutlich affirmativer Absicht ein Gedenkstein für Sepp Kerschbaumer eingeblendet. Kerschbaumer war Anführer des rechtsterroristischen, nationalistischen »Befreiungsausschuss Südtirol« (BAS), der ab den 1950er Jahren etliche Bombenanschläge ausübte. Etliche Menschen kamen zu Tode. Ab 1962 wurde der BAS zusehends von Neonazis mitbestimmt.

Diese Statements werden auch durch das Lippenbekenntnis gegen »Faschisten« und »Nationalsozialisten« nicht abgeschwächt, welches die Band in die letzte Strophe eingearbeitet hat. Der Frei.Wild-Hauptvorwurf gegen Nationalsozialismus und Faschismus an dieser Stelle ist, dass »unsere Heimat darunter gelitten« habe. Der Südtiroler Nationalismus hatte sich von den Nazis zunächst die Option erhofft, einen Anschluss an das Deutsche Reich zu ermöglichen. Hitler hatte dies aus außenpolitischer Rücksichtnahme gegenüber dem Bündnispartner Italien verworfen – aus diesem Grund nur hatten sich Nationalisten wie Kerschbaumer nach anfänglicher Sympathie enttäuscht vom Nazismus abgewandt. Historischer Bezugspunkt für den »Antifaschismus« der Band ist die Zeit der Repression gegen die deutschsprachige Bevölkerung unter Mussolini ab 1922.

 

Naziskin-Vergangenheit, politisches Engagement und die heutigen Abwehrlügen

Philipp Burger, Sänger von Frei.Wild, hat eine Vergangenheit als Naziskinhead. Er sang früher bei der inzwischen lange aufgelösten Rechtsrockband Kaiserjäger, von der lediglich einige Demoaufnahmen und kein reguläres Album überliefert sind. Von der »Jugendsünde« Neonazismus erzählt Burger freimütig und verleiht sich und der Band damit den Nimbus großer Authentizität. Analog zur Geschichte der Böhsen Onkelz wird die eigene Neonazi-Vergangenheit als nur oberflächlich bedauert und ins Positive gewendet. Nach dem Motto: »Es hat doch jeder schon mal Mist gebaut«. Die Texte von Kaiserjäger waren indes nicht so viel »radikaler« wie jene von Frei.Wild. Im Song »Meine Heimat heißt Tirol« nutzten Kaiserjäger fast wortgleich wie später Frei.Wild die Formel von »unserem heiligen Land«. Entscheidender Unterschied zwischen den Gruppen ist der Kontext. Kaiserjäger verbanden ihre Inszenierung gewalttätiger Männlichkeit offensiv mit der rechten Skinheadszene: »Eine Gruppe Glatzen kämpft dagegen an, gegen Weicheier wie Raver und Hippies und Punks.« Kaiserjäger stellten ihr Nazi-Sein nur über die entsprechende Szenezugehörigkeit zur Schau. Ihre Texte hingegen enthielten keine offene Verherrlichung des Nationalsozialismus. Stattdessen hagelte es Treuebekenntnisse zum österreichischen Kaiser: »Heil dem Kaiser, Heil dem Lande, Österreich wird ewig stehen.« Mit dem ­nationalistischen Pathos verbunden waren bei Kaiserjäger männliche Gewaltfantasien und spießbürgerliche Sehnsüchte. »Solche Fotzen wie du habe ich schon lange satt«, schimpfte es gegen eine verflossene Liebe, stattdessen wolle man »fromm und bieder, wahr und offen« sein und besang die Dinge, die »des Bürgers Fleiß geschaffen« habe. Die Texte von Frei.Wild argumentieren mit ähnlichen Mustern, sie sind jedoch um die Naziskin-Pose bereinigt und von den gröbsten Obszönitäten befreit.

Später war Burger für einige Zeit Mitglied in der rechtspopulistischen Südtiroler Partei Die Freiheitlichen. Er war auf Bezirksebene im Eisacktal (Brixen) für diese Rechtsaußen-Gruppierung aktiv, die in Südtirol mit Wahlergebnissen um die 15 Prozent die zweitstärkste politische Kraft ist. 2008 sollten Frei.Wild bei der »Freiheitlichen Rocknacht« auftreten, einem Konzert der Freiheitlichen Jugend, Nachwuchsorganisation der Partei Die Freiheitlichen. Eine Kostprobe aus dem Forderungskatalog der Freiheitlichen Jugend: »Südtirol zuerst! Einwanderung stoppen! Heimat schützen! Sofortige Ausweisung von ausländischen Straftätern!« Nach einiger Kritik – schließlich betont die Band ihren »unpolitischen ­Charakter« – sagte die Band das geplante Konzert ab.

Die Band widerspricht inzwischen eigenen älteren Stellungnahmen zu dieser Kontroverse. Früher äußerte sie sich zur Mitgliedschaft Burgers, er habe sich wegen »Ausländergewalt« engagieren wollen. Inzwischen heißt es, Burger sei kein Mitglied gewesen und lediglich wegen einiger »Kommunalbelange« bei einigen Sitzungen anwesend gewesen.

Burger erklärte damals:

»Was die Mitgliedschaft bei den Freiheitlichen betrifft: Ich bin aus der Partei wieder ausgetreten und habe auch das Amt niedergelegt, aber nicht etwa deswegen, weil
ich Schuldgefühle habe oder mit dem Parteiprogramm nicht einverstanden wäre, soviel ist sicher, sondern weil ich, vor allem nach der Aussprache mit der Crew,
eingesehen habe, dass es etwas zwiespältig ist, Parteimitglied zu sein und gleichzeitig Distanz vor der gesamten Politik zu nehmen.« 3

 

Auch Die Freiheitlichen selbst berichteten damals über den Austritt von Burger aus ihrer Partei. Mittlerweile streitet die Band die Mitgliedschaft ihres Sängers in der Partei ab. 2012 erklärte Burger:

»Ich war da nie Mitglied, ich hab da nichts gemacht, ich bin kein parteipolitisch denkender Mensch« 4

In der Erklärung von 2008 schrieb Burger, er habe sich bei Die Freiheitlichen engagiert, denn:

»Es kann nicht sein, dass fast jedes Wochenende gewalttätige Übergriffe ausländischer Gangs auf einheimische Jugendliche begangen werden.« 5

2013 wird die Mitgliedschaft von Burger durch die Band geleugnet und lediglich Folgendes eingeräumt:

»Bei den Freiheitlichen Südtirols hat Philipp an genau zwei Sitzungen des Brixner Bezirksausschusses teilgenommen, in denen es ausschließlich um Kommunal­belange und die Bildung einer Brixner Ortsgruppe ging.« 6

 

Der Umgang von Frei.Wild mit der Kritik und antisemitische Projektionen

Wegen ihrer Texte und den offensichtliche Falschaussagen zur Biografie von Philipp Burger ist die Band trotz ihrer Charterfolge Gegenstand von Kritik. Manchen Medien zufolge habe die Band nichtsdestotrotz lediglich einen harmlosen Patriotismus kultiviert, andere weisen auf Affinitäten zu rechtem Gedankengut hin. Die Band hat durch diese öffentlichen Debatten einerseits den Status einer »umstrittenen« Gruppe – diesen setzt sie durchaus bewusst zu Marketingzwecken ein und wendet ihn zu einer positiven Qualität: »Wir ecken an, wir sind echt.« Andererseits hat die Band durch die Debatten Rückschläge einstecken müssen. 2013 war sie wegen ihrer Verkaufserfolge für den Musikpreis Echo nominiert. (Übrigens in der Kategorie Rock/Alternative National, obwohl es sich mitnichten um eine deutsche, sondern um eine italienische Band handelt.) Nach heftigen und kontroversen Diskussionen zogen die Veranstal­ter*innen von der Deutschen Phono-Akademie die Nominierung von Frei.Wild zurück.

Die Band hat die eigene Homepage die-macht-der-medien.de eingerichtet, auf der sie die ihrer Meinung nach grundlagenlose Kritik »richtig stellen« will. In etlichen Liedern inszenieren sich Frei.Wild als Opfer böswilliger Kräfter. In einem 2012 veröffentlichten Song beklagen sie gesellschaftliche Ausgrenzung:

 

Songtext »Wir reiten in den Untergang« (Album »Feinde deiner Feinde«, 2012)

»Keine Gnade und im Zweifel nichts für dich. Heut gibt’s den Stempel, keinen Stern. Und schon wieder lernten sie es nicht. Und sagst du mal nicht Ja und Amen.
Oder schämst dich nicht für dich. Stehst du am Pranger der Gesellschaft und man spuckt dir ins Gesicht.«

 

Der »Stern« meint den »Judenstern« aus dem Nationalsozialismus – Frei.Wild, so legt der Text nahe, würden aus ähnlichen Gründen und mit ähnlichen Methoden verfolgt, wie die Jüd*innen im Nationalsozialismus. In einem Interview mit dem Focus bestätigte Burger diese Assoziation. Die Kritik an Frei.Wild sei Unterdrückung und könne zum Völkermord führen:

»Der Anfang war derselbe, wie immer in der Geschichte, an dessen Ende Völkermord stand. […] Wenn man zensiert, Leute diskriminiert, mundtot macht, Menschen in
die Ecke drängt, dann ist das Ausgrenzung, menschenverachtend und bleibt nun mal ein Stempel. Unser Ausschluss vom Echo zeigt, wie schnell so etwas zu einer Massendynamik führen kann.« 7

 

Diese Projektion – Kritik an Frei.Wild führe zu einem Holocaust – ist eine ­Figur aus dem Bereich des sekundären Antisemitismus.

In einem weiteren Song vom gleichen Album setzt sich die Band ebenfalls mit ihren Kritiker*innen auseinander. Der Text gerät zu einer Schimpftirade – wer sich gegen die Band stelle, würde »schwarz-weiß« denken, zum Völkerhass anstacheln, Kokain konsumieren und habe mit »Kinderstrichern« zu tun:

 

Songtext »Gutmenschen und Moralapostel« (Album »Feinde deiner Feinde«, 2012)

»Es gibt nur ihre Meinung und sie denken nur schwarz-weiß, sie bestimmen was gut, was böse ist, sie sind das, worauf ich scheiß’, sie richten über Menschen, ganze Völker sollen sich hassen, nur um Geschichte, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen, nach außen Saubermänner, können sie jeden Fehler sehen, sind selber die größten Kokser, die zu Kinderstrichern gehen, ob aus Kirche, Staat, will gar nicht wissen, wie ihr heißt, denn wer selbst durch das Land der Sünden reist, nicht mit Steinen um sich schmeißt / Ich scheiß’ auf Gutmenschen, Moralapostel, selbsternannt, political correct, der die Schwachen in die Ecke stellt, und dem Rest die Ärsche leckt, ich scheiße auf Gutmenschen, Moralapostel, selbsternannt, sie haben immer recht, die Übermenschen des Jahrtausends, ich hasse sie wie die Pest / Journalisten, Priester, die einfach immer alles wissen, die nur schreiben, die nur richten, und die Wahrheit finden sie beschissen, sie sind Propheten, glaubt ihnen blind, ihr müsst sie lieben, Zweifler, Hinterfrager sollen jetzt Peitschenhiebe kriegen, ihre Basis ist ihr Aussehen, ist ihr Glaube, ihre Position, Ermahnen, Ruf beschmutzen ist ihr Job, das ist ihr Lohn, reines Wasser fließt für sie nur ganz allein, und in die Scheiße, die nach Scheiße stinkt, schmeißen sie dich rein, ihr predigt Liebe, doch ihr selber schürt nur Hass, ihr predigt Menschlichkeit, doch Menschenhass, er macht euch Spaß, das Licht, in dem ihr euch so gerne selber sehr, habt ihr nur für euch erschaffen, damit ihr selber besser da steht, all die Verbrecher, all der Schmerz auf dieser Welt.«

Auch dieser Text argumentiert in antisemitischen Mustern. Denn die Vorstellung, eine Gruppe würde gezielt zum Völkerhass anstacheln, ist in dieser Form nur als antisemitischer Vorwurf gegen Jüd*innen gebräuchlich. Der Verweis auf eine »Geschichte, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen« geht in die gleiche Richtung – damit ist der Holocaust gemeint. Aus dieser Vergangenheit verwerflicherweise Vorteile zu schöpfen, wird im sekundären Antisemitismus »den Juden« vorgeworfen. Konkret wird dieses Verhalten »Journalisten« und »Priestern« angelastet – die antisemitischen Muster werden auf alle übertragen, die Kritik an Frei.Wild üben. Als »charakterlich verwahrloste und verlogene Gestalten« würden diese die Band und ihre Fans beleidigen, weil diese »aufmerksame und ehrliche Zeitgenossen«,»Zweifler und Hinterfrager« seien.

 

Neonazistische Frei.Wild-Fans

Die übergroße Mehrheit der Frei.Wild-Fans begreift sich nicht als »rechts« und hat keinerlei Anbindungen an das organisierte Spektrum in der extremen Rechten. Umgekehrt allerdings wird die Band in der extremen Rechten wegen ihrer »patriotischen« Texte gelobt und gefeiert.

In der neurechten Zeitschrift »Sezession« beispielsweise wird das, was die Band immer leugnet – ihr politischer, nationalistischer Gehalt – ohne Umschweife anerkannt. In der Aprilausgabe 2010 erschien ein Text, der zwar bedauert, dass das »politisch korrekte Management« die Band in Richtung politischer Abstinenz »knechten« würde. Dennoch feiert Sezession-Autor Felix Menzel Frei.Wild als Paradebeispiel für seine These, dass Pop derzeit eher als die Hochkultur ein vielversprechendes Feld für extrem rechte meta-politische Interventionen sei. So heißt es bei Menzel:

»Ob sie es zugeben oder nicht und ob sie es bewusst machen oder nicht: Frei.Wild vermischt Alltäglichkeiten und heimatbewusste Politik. Damit markiert die Band
einen deutlich rechteren Zeitgeist als den gegenwärtig herrschenden. […]
Die patriotischen Akzente werden von breiten Schichten wahrgenommen.« 8

 

In einer Sendung des neonazistischen Internet-TV-Kanals FSN-TV wurde im Oktober 2012 über Frei.Wild diskutiert. Moderator Patrick Schröder geriet ins Schwärmen:

»Da kann mir keiner was sagen, das ist absolut patriotisch. Es ist nicht 100 Prozent nationaler Widerstand. (...) Aber das erwarten wir nicht. (...) Wir haben aus dieser Band, haben wir also die Möglichkeit, noch in extremeren Maße mehr zu profitieren, als eben durch die Böhsen Onkelz.«

Die Bands sei »politisch vielleicht nicht 100 Prozent bei uns auf Linie, aber immerhin 80 Prozent. Und sie geben 30 Prozent davon zu.« 9 Die Neonazis sehen Philipp Burger nach, dass er zugunsten der Bandkarriere sein Engagement für die Die Freiheitlichen beendet hat und sich von Neonazis distanziert. Burger habe »die Südtirol-Frage zum Beispiel ums hundertausendfache mehr thematisiert oder in die Köpfe der Menschen, der Jugend gebracht, als wir das als Parteimitglied«. Durch Frei.Wild könne es gelingen, Nachwuchs für den »nationalen Widerstand« zu gewinnen. Diese kämen zwar »als Null-Menschen an«, die sie »komplett neu schulen« müssten. Aber auch wenn sie »nicht ideologisch ­gefestigt durch Frei.Wild oder durch die Onkelz« würden, sollte man »das Potenzial [...] nicht verschenken«.

Nachdem die Echo-Nominierung für Frei.Wild 2013 zurückgenommen wurde, veranstaltete die NPD in Berlin eine Solidaritätsmahnwache für die Band. Im Aufruf hieß es:

»Offenbar haben die linken Meinungsdiktatoren große Angst vor der überall
aufkeimenden rechten Gegenkultur. Vor allem in der Musik betreten immer mehr heimattreue Künstler die Bühne und erfreuen sich zunehmender Beliebtheit.
Die Nachfrage scheint also gegeben und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die Bürger vom linken Pöbel nicht mehr diktieren lassen, was sie zu hören und zu mögen haben.« 10

 

Die Band distanzierte sich von dieser ihr nicht opportunen Hilfe – schließlich will sie ihre Ablehnung von »Extremismus« kommunizieren und zeigen, dass sie bei Rechten nicht populär sei. Es fand zeitgleich eine Kundgebung von Frei.Wild-Fans statt, die sich gleichzeitig gegen die NPD und gegen die Echo-Ausladung richtete.

 

Rebellische Attitüden und Volksmusikcharme

Ein Erklärungsmuster für den Erfolg von Frei.Wild liegt in den Posen, welche die Band einnimmt. Die Art der Inszenierung ist vom Vorbild Böhse Onkelz übernommen: Die Band inszeniert sich als Stimme des gesunden, proletarischen Menschenverstands. Mit Politik habe man nichts zu tun, es geht um unreflektierte und ironiefreie Selbstbestätigung, um das wahre Leben des »einfachen Mannes«: »Wir sind wir.«

Frei.Wild machen ein Identitätsangebot. Band und Fans schweißt ein Wir-Gefühl zusammen, dessen zentrales Element der Text ist. Das Album »Gegengift« beispielsweise strotzt vor Wir-gegen-Die-Konstruktionen. Wörter wie »wir« und »unser« kommen in den Texten der 14 Songs weit über einhundert Mal vor. Zur Gegenseite zählen selbstredend Leute, die Kritik an der Band üben. Integrierbar ist in diese Attitüde allerdings auch das Gefühl vieler Fans, unverstanden zu sein und ungerecht behandelt zu werden. Hinzu kommt häufig eine diffuse Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben und den gesellschaftlichen Verhältnissen. Nach einer Rebellion gegen solche Verhältnisse gelüstet es der Band und ihren Fans jedoch kaum. Das Lösungsangebot von Frei.Wild liegt in einer Rückbesinnung auf überschaubare Verhältnisse, wie sie in der Südtiroler Bergwelt zu finden seien; fernab von den Wirrnissen der Gegenwart. Nicht umsonst betonen Frei.Wild häufig ihre Nähe zum ebenfalls »bodenständigen« volkstümlichen Schlager. Mit der Südtiroler Volksmusikgruppe Kastelruther Spatzen gab es schon gemeinsame Großkonzerte. Dass Frei.Wild darüber hinaus ihre Texte mit Nationalismus aufladen, wird von vielen Fans nicht wahrgenommen und zurückgewiesen.

 

»Die Welt ist bunt! Frei.Wild’s Ländereien sind es auch!«

Am 14. August 2015 veröffentlichte Frei.Wild eine bemerkenswerte Stellungnahme unter dem Titel »Die Welt ist bunt! Frei.Wild’s Ländereien sind es auch!« In dem dezidiert politischen Statement geht es um gegenwärtige Kriege und die damit verbundenen Folgen. Sie loben ihre Fans, die Zivilcourage und Menschlichkeit zeigen und sich für Flüchtlinge einsetzen. Frei.Wild verzichten auf eine Gleichsetzung von linken und rechten »Extremisten« und trennen nicht zwischen Kriegsgeflüchteten und sogenannten »Wirtschaftsflüchtlingen«. Sie grenzen sich deutlich von rechten Bewegungen ab und benennen dabei ­explizit PEGIDA und die Alternative für Deutschland (AfD). In einem nun einsetzenden Shitstorm wurde die Band von enttäuschten Fans zum Teil übel ­beschimpft und als Heuchler tituliert. In etlichen Kommentaren fanden sich positive Bezüge auf die genannten rechten Bewegungen und rassistische Äußerungen gegenüber Geflüchteten. Aufgrund dieser Reaktionen, die die Band in diesem Umfang nicht erwartet hatte, erschien drei Tage später eine weitere Stellungnahme unter der Überschrift »Warum wir Ross und Reiter nennen!!!« Die Band verteidigt ihr vorausgegangenes Statement, verweist darauf, dass sie sich seit längerer Zeit eindeutig gegen Rechts und Rassismus positioniert habe und fühlt sich einmal mehr – diesmal von Teilen der eigenen Fans – un- bzw. missverstanden. Doch auch in diesem Statement findet von Frei.Wild keine selbstkritische Auseinandersetzung mit eigenen politischen Positionen statt, durch die (und wodurch) sich rechte und rechtsoffene Fans bestätigt fühlen. Frei.Wild betonen erneut ihre – in ihren Texten völkisch konnotierten – »großen, positiven Gefühle zu Heimat, Tradition, Kultur, Glaube und Familie« und negieren weiterhin deren rechten Gehalt. Die negativen Reaktionen vieler Fans verdeutlichen, dass die Konstruktion rechter politischer Positionen als »gegen rechts« zwar auf der Ebene oberflächlicher Lippenbekenntnisse funktioniert, jedoch in sich instabil wird, wenn »Ross und Reiter« genannt werden und sich VertreterInnen rechter Positionen persönlich und inhaltlich angegriffen fühlen. »Die Welt ist bunt! Frei.Wild’s Ländereien sind es auch!« und »Warum wir Ross und Reiter nennen!!!« heben sich tatsächlich substanziell von den bisherigen Statements der Band ab. Der politische Spagat, den Frei.Wild vollzieht, wird immer größer und wird auf Dauer vermutlich nicht zu halten sein. Eine Auseinandersetzung mit eigenen rechten Positionen ist für die Band der nächste wünschenswerte Schritt.

1 Frei.Wild, Die Macht der Medien, www.die-macht-der-medien.de
2 ebenda.
3 Philipp Burger, Frei.Wild vor dem aus?, 9/2008, http://blog.dafb-o.de/wp-content/uploads/­­2008/09/statement_philipp-burger.pdf
4 Anne Lena Mösken, Der Volksmusiker. Philipp Burger von Frei.Wild, 18.12.2012, www.berliner-zeitung.de/musik/philipp-burger-von-frei-wild-der-volksmusiker, 10809182,21143268.html
5 Philipp Burger, Frei.Wild vor dem aus?, 9/2008, http://blog.dafb-o.de/wp-content/uploads/
2008/09/statement_philipp-burger.pdf
6 Frei.Wild, Die Macht der Medien, www.die-macht-der-medien.de/
7 Jan-Philipp Hein, Sind Glatzen bei Ihnen willkommen?, 8.4.2013, www.focus.de/kultur/medien/tid-30584/kultur-und-leben-medien-sind-glatzen-bei-ihnen-willkommen_aid_954806.html
8 Antifaschistisches Infoblatt, Die Band »Frei.Wild«: Zwischen Kitsch und Subkultur, Nr.89 / 4. 2010, 11.12.2010, www.antifainfoblatt.de/artikel/die-band-%C2%BBfreiwild%C2%AB-zwischen-kitsch-und-subkultur
9 Frank Metzger, Völkischer Mainstream-Rock – Frei.Wild und die extreme Rechte, 15.1.2013,
http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2013/01/15/volkischer-mainstream-rock-frei-wild-und-die-extreme-rechte_11073
10 Nationialdemokratische Partei Deutschland (NPD) Berlin, Meinungsdiktatoren prägen Preisverleihung – Ihr müsst das rechte ECHO vertragen, 21.3.2013, www.npd-berlin.de/?p=1301

Tipp zum Weiterlesen:

HEIMATTREUE PATRIOTEN UND DAS »LAND DER VOLLIDIOTEN« — FREI.WILD UND DIE ›NEUE‹ DEUTSCHROCKSZENE von Thorsten Hindrichs  

 

"Die Deutschrockband Frei.wild" als .pdf